Charlotte Bosgiraud

Der Meeresduft

8. Juni 2025

Sonnenstrahlen scheinen in das Zimmer herein und die Grillen sind auch schon lange wach.
«Claire, bist du schon wach?», frage ich nach. Claire bleibt stumm, vermutlich schläft sie noch. Ich laufe also die Treppen leise und vorsichtig runter, um das Frühstück vorzubereiten. Nach einer Weile, als das Frühstück bereit ist und Claire immer noch nicht hier ist, laufe ich die Treppen vorsichtig wieder runter, vielleicht liegt Claire einfach in ihrem Bett. Als ich unten ankomme und nur ein leeres Bett sehe, spüre ich dieses Gefühl, das ich schon gut kenne. Claire hatte mich doch gestern schon gewarnt, dass sie schlafwandelt. Verdammt, wo könnte Claire nur sein? Ich schlüpfe in meine Flip-Flops und renne dem Weg zum Strand entlang. Vielleicht hat Claire vom Strand geträumt und ist dorthin gelaufen. Auf dem Weg stolpere ich einige Male, wie konnte so etwas passieren? Ich bin doch erst gestern angekommen. Ich komme am Strand an und schaue mich um. Doch dort ist niemand. Wo ist sie nur? Besorgt laufe ich zurück. Vielleicht ist sie zuhause angekommen und fragt sich, wo ich bin. Aber was ist, wenn sie nicht zuhause ist? Daran darf ich nicht denken. Ich muss optimistisch bleiben. Aus meiner Tasche hole ich mein Handy heraus und rufe Claire an. Mailbox. Als ich ankomme, höre ich Schreie.
«Claire! Bist du das?», frage ich nach. Die Schreie kommen von unten.
«Was ist passiert?», schreie ich und hoffe auf eine Antwort ihrerseits. Ich fühle, wie meine Haut sich zu Gänsehaut verändert. Was wenn Claire hier unten einen epileptischen Anfall hat?
«Claire? Bist du hier?», ich laufe so schnell, wie ich nur kann.
«Ja! Ich bin so dumm. Ich habe mich im Keller eingesperrt und muss bald meine Medikamente einnehmen.», antwortet sie. Mein ganzer Körper will sich entspannen, aber zuerst muss man sie hier rauskriegen, bevor sie einen epileptischen Anfall hat.
«Louise die Tür ist richtig schwer! Kriegst du sie auf?»
«Ich versuche es.», sage ich,
«auf drei stösst du so fest, wie du kannst, und ich ziehe», befehle ich ihr.
«Okay, eins… zwei… drei!», ich gebe alles, was ich kann, doch das ist deutlich zu wenig.
«Es ist nicht genug! Wir brauchen jemanden mehr.», schreit sie mir verzweifelt zu.
«Ich könnte schnell an den Strand gehen, aber du müsstest alleine zurückbleiben », schlage ich vor.
«Super, es tut mir leid, es ist jetzt ein bisschen blöd gelaufen. Wir brauchen einfach jemanden mehr, du musst jemanden holen».
«Okay, wie lange haben wir noch wegen deinen Medis? », frage ich nach.
«Noch eine halbe Stunde», ich muss mich beeilen.
«Bis später», rufe ich Claire zu.
«Bis später», erwidert sie. Ich mache mich also auf den Weg nach oben. Ich fühle, wie sich meine Haut mit jedem Schritt wieder normal anfühlt. Ich weiss aber auch, dass ich unter Zeitdruck bin und wenn ich mich nicht beeile, kann das für Claire mies ausgehen. Sobald ich am Strand ankomme, erkenne ich diesen Duft. Ein Duft, der mich normalerweise beruhigt. Es riecht nach Meer. Auch das Rauschen der Wellen ist mir bekannt und hat gewöhnlich eine positive Einwirkung auf mich. Jetzt nicht. Ich muss eine dritte Person finden, und zwar schnell. Ich schaue mich um, am Strand sind aber nur kleine Kinder mit deren Grosseltern. Ich weiss, man sollte sich nicht auf äusserliche Erscheinungen verlassen, aber ich bezweifle, dass Grosseltern diese Tür aufkriegen.
«Sie sehen besorgt aus, kann man Ihnen helfen?», sagt eine zerbrechliche Stimme, die von hinten kommt. Ich drehe mich um, es ist eine ältere Frau. Auf mich wirkt sie nett.
«Ich… Ich… Nein ist gut, aber danke», ich stottere. Mit fremden Menschen zu sprechen, war noch nie mein Ding.
«Sicher? Ihre Körperhaltung ist da anderer Meinung», sagt sie.
«Also gut, wir haben bei uns im Keller eine sehr schwere Tür und meine Freundin ist im Raum eingesperrt», ihr Ausdruck spannt sich überhaupt nicht an, im Gegenteil sich lächelt und sagt: «Schlafen Sie bei Claire Martin?», ich nicke, woher wusste sie so etwas.
«Diese Tür ist blöd! Ich habe mich da auch schon mal eingeschlossen. Mein Sohn kann Ihnen helfen, wenn Sie es wünschen. Ich meine, mein Körper ist zu alt dafür. Sie im Gegensatz haben noch einen jungen Körper.».
«Wenn es möglich wäre, dann nehme ich Ihre Hilfe sehr gerne an.», sage ich.
«Ein Moment, ich muss ihn anrufen»,
«Ja, natürlich nehmen Sie sich die Zeit.», sage ich, dabei stimmt das gar nicht.
«Flavio, komm bitte mal zum Strand herunter, Claire hat sich eingeschlossen und wir brauchen deine Hilfe». Nach dem Gespräch kommt Flavio hinunter und kurz darauf sind wir wieder bei Claire. «Claire, ich bin zurück. Flavio ist hier», sage ich.
«Danke, das ist super! Auf drei: Eins… Zwei… Drei…», ich bin nicht die Einzige, die am Zählen ist, wir drei zählen zusammen wie ein Chor, nur singen wir nicht so gut. Ich versuche so fest zu stossen, wie es meine Arme zulassen und verlagere mein ganzes Gewicht gegen diese Tür. Es bringt nichts. Die Tür bewegt sich noch weniger als vorher. Ich gebe einen Ruck und plötzlich ist die Tür offen! Ich merke wie sich mein ganzer Körper entspannt und Claire geht es anscheinend auch so.
«Alles gut?», fragt sie mich sofort,
«Ja, ich denke schon. Danke vielmals».
«Ich gehe dann mal», sagt Flavio und ich nicke.
«Danke vielmals, wir hätten es ohne dich nicht geschafft.», bedanke ich mich noch, bevor er geht.
«Gerne, sagt mir, wenn ihr nochmals Hilfe braucht.»
«Willst du nicht für das Abendessen bleiben?», fragt Claire
«Ja, sehr gerne, also nur wenn ich nicht störe.». Nein, natürlich stört er nicht.
«Nein, bitte bleib, es ist das Mindeste, was wir machen können, um dir zu danken.».

Kurze Zeit später

«Ich räume auf. Wollen wir noch einen Film schauen?», frage ich.
«Klar, danke. Wir gehen den Film aussuchen.», sagt Claire.
«Danke! Sollen wir dir nicht helfen?», fragte Flavio höflich.
«Ne, du hast genug gemacht für heute. Wählt euch einen Film aus, ich bin gerade da.». Sie laufen zum Sofa und sitzen nebeneinander ab. Als ich beginne, das Geschirr zu spülen, höre ich wie Claire kichert. Ich drehe mich um und ich muss selbst auch lächeln.